Bei Markus Jagersbergers Aufenthalt am Semmering ging es um die DNA der dort wildwachsenden Pflanzen. Er war im Vorfeld einer Feldküche im Rahmen von Café Dezentral 2023 mit dem Koch und Künstler Bjørn Segschneider vor Ort unterwegs, durchstreifte die Landschaft und erforschte die Flora der Region. Während Segschneider für die kulinarische Intervention – die er in Reminiszenz auf Elementarteilchen und deren Bedeutung als kleinste Bausteine der Welt „Flavours of Quarks“ nannte – sich auf die Suche machte, welche regionalen Produkte wie Fleisch, Fisch, Käse oder Eier der Semmering hergibt, wollte Markus Jagersberger mit seinem Wissen über und der Neugierde auf alles, was wächst, zu dem Mahl beitragen. Wie essbar ist die Natur des Semmerings? Was kann man davon in ein Menü einfließen lassen, und wie lässt sich damit ein Gesamtkunstwerk entwickeln? Fragen, die Jagersberger vor der Residency im Kopf herumgeisterten, die er aber bewusst offenhielt. Denn bei dem Vorhaben war für ihn insbesondere eine Frage bestimmend: Wie kann ich mich ganz frei und unvoreingenommen auf die mir noch persönlich unbekannte Flora des Semmerings einlassen?
Gleich bei der Ankunft mit der Bahn fiel Jagersberger eine überbordende Natur ins Auge, beziehungsweise in den Mund: Die Quelle am Bahnhof, aus der man frisches Wasser trinken kann, war für ihn der Vorbote auf all jenes, was der Semmering während seiner Residency hergab. Querfeldein machte er sich daraufhin auf den Weg durch Wälder und Wiesen und erschloss sich den Semmering im Gehen und Schauen: Was wächst wo? Legt er in den von ihm gestalteten Gärten, die er kontrolliert verwuchern lässt, üblicherweise ein geordnetes Chaos an, so erforschte er in diesem Fall, wie viel Wildheit und Überraschendes in einer schon vor langem vom Menschen geformten Kulturlandschaft steckt. Dann kam das Verarbeiten der Funde dazu. Mit Bjørn Segschneider sammelte er Wipfel von Fichten und machten dann in Öl einen Auszug daraus. Sie setzten mit Gundelrebe einen Gin für das Menü beim Café Dezentral an. Er pflückte Spitzwegerich und Brennnesseln, kochte damit vor Ort für alle Anwesenden der Residency Brennnesselspinat mit Kartoffeln. Nicht nur der Austausch und die interdisziplinäre Arbeit mit Segschneider war für Jagersberger wichtig, auch mit anderen vor Ort galt es für ihn, Verknüpfungen zu finden, sie zu Kräuterwanderungen einzuladen undüber diverse Herangehensweisen an die Region zu sprechen: Schnittpunkte, das Andocken an andere Disziplinen und das Herstellen von Verbindungen sind Teil eines ganzheitlichen Konzepts hinter Jagersbergers Tun. Ganzheitlich ist auch Jagersbergers Beziehung zu Pflanzen: Jedem Ast, jedem Blatt, jeder Blüte eine Bedeutung zusprechen, das nahm er aus der japanischen Philosophie mit auf den Semmering. Aus diesen Zugängen sollte letztendlich auch die Feldküche beim Café Dezentral 2023 zu einem Gesamtkunstwerk werden: Es ging um Geschmack, in dem mehr steckt als nur simples Kosten.